Ordo Fratrum Minorum Capuccinorum IT

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updated 9:58 AM UTC, Apr 24, 2024

Mattenkapitel - Europa

  • Datum
  • Ort: Portugal, Fatima

AUF DEM WEG NACH FATIMA
TREFFEN DER MINISTER AUS GANZ EUROPA

Liebe Brüder Provinzialminister und Kustoden

Wir haben euch hierher nach Fatima eingeladen, weil wir mit euch erkennen wollen, wie wir in Verantwortung und Freude das Charisma des Franz von Assisi, das uns auf dem europäischen Kontinent durch die Kapuzinerreform vermittelt wurde, in die Zukunft weitertragen. Ich weiss, dass ihr bereits vieles unternehmt, um unser Lebenszeugnis zu erneuern. Ihr tut es in einer immer schwieriger werdenden Situation, weil der Mangel an Berufungen anhält, der Altersdurchschnitt der Brüder ständig zunimmt und ihr Niederlassungen, die ihr in der Vergangenheit errichtet habt, jetzt aufgeben müsst. Unsere Zusammenkunft gibt uns die Gelegenheit, einen Überblick über unseren ganzen Kontinent zu gewinnen. Ich denke, dass eure Zusammenkünfte auf der Ebene der Konferenzen euch die Möglichkeit verschaffen, euch über das Vorgehen und die gemeinsamen Perspektiven ausgiebig auszutauschen. Jetzt aber möchten wir den ganzen Kontinent ins Auge fassen und nach Wegen suchen, die wir mit dem gemeinsamen Engagement aller gehen können.

Was wir tun, ist höchst notwendig. Wenn wir auf den europäischen Kontinent vom Gesichtspunkt unserer Präsenz und unserer Fähigkeit neue Berufung anzuziehen und zu begleiten schauen, dann wird uns rasch bewusst, dass die Dinge seit kurzem sehr viel schwieriger geworden sind. In brüderlicher Solidarität unter uns und im Wissen, dass die Kapuzinerreform vor fast 500 Jahren entstanden ist, sich auf diesem Kontinent rasch ausgebreitet und im 18. Jahrhundert eine Zahl von gut 30.000 Brüder erreicht hat, scheint es mir richtig, dass wir uns an diesem marianischen Ort treffen und von unseren Sorgen sprechen, aber nicht weniger auch von unseren Träumen und wie wir sie verwirklichen können.

Einen brüderlichen Gruss möchte ich auch an die Präsidenten der verschiedenen Ordenskonferenzen richten, besonders an jene, die von weit her gekommen sind. Eure Präsenz ist wertvoll. Als Mitglieder des einen Ordens ist es wichtig, dass wir uns alle bewusst werden, welche Phase der Orden in diesem Augenblick in einem besonderen Gebiet, nämlich auf dem Europäischen Kontinent, durchlebt. Ihr könnt uns dabei helfen, wenn es darum geht, Lösungen zu finden, wie wir unserem Leben als Kapuziner hier in Europa neuen Auftrieb geben können. Wir danken euch, dass ihr gekommen seid und danken für euren Beitrag.

CENOC und CIC

Das Leben nicht weniger europäischer Provinzen - ich beziehe mich im Besonderen auf die CENOC und die CIC - war in den letzten Jahrzehnten von einem mühseligen Prozess der Redimensionierung bestimmt. Wir haben Niederlassungen geschlossen und aus der Hand gegeben, in denen wir über 400 Jahre präsent gewesen sind. Dieser Prozess scheint weiter voranzuschreiten. Der endemische Mangel an neuen Berufungen - er dauert schon mehrere Jahrzehnte - hat zu einer starken Überalterung unserer Gemeinschaft geführt. Es ist unterdessen schwierig, Brüder zu finden, die das Amt des Guardians übernehmen können; in der Pastoral und auf anderen Gebieten fehlen die aktiven Kräfte. Die Aufgabe, unseren älteren und kranken Brüdern Orte anbieten zu können, wo sie die Jahre ihres Alters in Würde verbringen und ihnen die notwendige Pflege zukommt, hat uns eine erhebliche Anstrengung abverlangt. Wir wissen auch, dass diese Situation noch lange bestehen wird. Die Aufmerksamkeit, die wir den älteren und hilfebedürftigen Brüdern schenken, ist ein schöner, lichtvoller Aspekt unseres Zeugnisses. Allerdings sind wir in einen Zustand geraten, in dem es praktisch unmöglich geworden ist, neue Missionare auszusenden. Im Gegenteil: Wir haben begonnen, bei uns Brüder aufzunehmen, die aus denjenigen Gebieten des Ordens kommen, wo die Zahl der Berufungen in ständigem Wachstum begriffen ist.

Zahlenmässig kam die CENOC im Jahr 2000 auf 1132 Brüder; heute sind es noch 855, d.h. eine Verminderung um 277 Brüder. 5 Provinzen weisen ein Durchschnittsalter über 70 Jahre aus; Holland erreicht einen Schnitt von 79.27! Die CIC ihrerseits ging von 539 Brüdern im Jahr 2000 zurück auf aktuell 359, was einer Verminderung um 180 Brüder entspricht. Die Provinz Spanien hat ein Durchschnittsalter vom mehr als 70 Jahren (73,60); Katalonien liegt mit 69,35 nahe dabei.

CIMPCAP

Für Italien gehört es sich, dieses Land gesondert zu behandeln. Es gibt dort Ordensbereiche, die einen bescheidenen, aber doch beständigen Zuwachs an Berufungen aufweisen und deshalb zuversichtlich in die Zukunft schauen. Andere hingegen bekommen die Überalterung zu spüren und unterliegen einem nicht immer leichten Prozess der Redimensionierung. Von einigen kann man sagen, dass ihre Situation durchaus vergleichbar ist mit der der zwei Konferenzen, von denen wir schon gesprochen haben. In Italien sind verschiedene Prozesse der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen von Provinzen im Gang, sei es in der Grund- oder in der Weiterbildung. Diese Vorhaben sind vielversprechend, weil die jungen Leute, die zu uns kommen, ihren Ausbildungsweg in Gemeinschaft mit anderen Jungen gehen können und es eine Gruppe gut vorbereiteter Ausbildner gibt. Im Bereich der Weiterbildung verfügen dann die Brüder über einen ganzen Fächer von Angeboten, mit dem sie ihr Leben als Ordensleute nähren und bereichern. Ich bin mir sicher, dass aus diesen verschiedenen Zusammenarbeiten mit der Zeit neue Formen des institutionellen Zusammenhangs zwischen den Provinzen der Halbinsel entstehen werden.

Abgesehen von den Provinzkustodien in Afrika zählte die CIMPCAP im Jahr 2000 2607 Brüder, heute sind es noch 2027, das kommt einer Verminderung um 580 Brüder gleich. Die meisten italienischen Provinzen haben einen Altersdurchschnitt von mehr als 60 Jahren, vier haben einen Durchschnitt zwischen 50 und 60 Jahren.

CECOC

Das Bild, das ich bis jetzt gezeichnet habe, betrifft nicht alle in der selben Weise. Die Länder von Zentral- und Osteuropa leben in einer Situation, die weiterhin sich recht komfortabel und verheissungsvoll präsentiert. Die zwei polnischen Provinzen im besonderen sind den Bedürfnissen einiger europäischer Provinzen entgegengekommen und halten den missionarischen Einsatz in Gabon, im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik aufrecht. Die Zahl der Brüder von der Jahrtausendwende an bis heute ist beinahe konstant geblieben. Zur Zeit ist kein starkes zahlenmässiges Wachstum festzustellen. Ihr, die Brüder der CECOC, werdet uns sagen können, wie es in eurer Konferenz weitergehen wird. Ihr könnt uns erzählen von den Freuden und Enttäuschungen, die von der Vorsehung jedem Weg beigegeben werden.

Im Jahr 2000 zählte die CECOC 783 Brüder, heute sind es 759, d.h. eine Verminderung von 24 Brüdern. Die Provinz mit dem höchsten Durchschnittsalter ist Slowenien mit 56,7, den niedrigsten Durchschnitt weist Rumänien auf mit 34,89.

Sind wir dazu verurteilt zu verschwinden?

Für eine rechte Zahl von Provinzen wird die Tendenz die bleiben, die wir seit Jahren kennen. Mir scheint, dass am Horizont keine Zeichen sichtbar sind, dass sich die Situation ändern wird. Mittelfristig werden diese Provinzen verschwinden. Ich bin überzeugt, dass wir deshalb die Arme nicht fallen lassen und uns resigniert auf einen langsamen, irreversiblen Todesprozess einlassen müssen. Wir sind aufgerufen, das alles mit gesundem Realismus wahrzunehmen und mit neuen Augen, mit den Augen des Glaubens, das Ganze zu betrachten. Der Herr hat uns gerufen, unsere Ordensweihe gerade in dieser unserer Zeit zu leben, am Ende des zweiten Jahrtausends und zu Beginn des dritten. Wir sind berufen, heute Zeugnis für unser Charisma zu geben und alle an diesem Geschenk teilnehmen zu lassen. Es kann nicht darum gehen, die Tendenz umkehren zu wollen. Das würde heissen, dass wir als Nostalgiker dazu zurückkehren wollten, gross und einflussreich zu sein, wie wir es früher waren. Im Lauf der letzten fünfzig Jahre haben unsere Gesellschaften, aber auch das Leben unserer Lokalkirchen sich radikal verändert. Wir stehen in der Epoche der Postmoderne und der digitalen Welt und wir müssen definitiv Abschied nehmen von dem, was man „Regiment der Christenheit" genannt hat. Schon vor langem, im Jahr 1969, hat Papst Benedikt XVI. festgestellt, dass die Kirche durch eine tiefe Krise hindurchgeht, die sie dahin gebracht hat, so klein zu werden, dass sie nicht mehr in der Lage ist, die Gebäude zu bewohnen, die sie in den Zeiten der Blüte errichtet hat. Mit der Verminderung der Zahl der Gläubigen habe sie auch einen Grossteil ihrer sozialen Privilegien verloren . Die Schliessung so vieler Kirchen und die Suche nach einer neuen Zweckbestimmung beschäftigt sehr viele Bischöfe in Europa. Dasselbe Phänomen ist ganz dramatisch in Québec zu beobachten.

Eine Religion ohne Gott

Das Phänomen der Säkularisation hat die Religion nicht zum Verschwinden gebracht und auch nicht die spirituelle Suche eines grossen Teils der Bevölkerung. Nur dass diese sich nach anderen Horizonten ausrichtet, die nicht notwendigerweise das sind, was unsere Kirchen anbieten. Die Überzeugung gewinnt immer mehr an Boden, dass Religion ganz gut ohne Gott auskommt und dass Religion tiefer als Gott sein kann. Und was alles hat nicht der amerikanischen Philosoph Rona Dworkin in seinem Buch Religion without God (2013) theoretisch erarbeitet! Für ihn ist es das religiöse Gefühl, das alles bestimmt und es gibt keinen objektiven Parameter, der sich auf eine mehrere Jahrhundert alte Tradition beruft und auf eine Offenbarung zurückgehen würde. Jesus ist nur ein interessantes Subjekt und wegen einiger Aussprüche auch genial. Aber er ist nicht das Wort schlechthin, nicht der Eckstein, auf dem alles ruht, was uns überliefert wurde. Für ihn besteht die frohe Botschaft darin, dass der Atheismus die Quelle der Freiheit ist, die dir erlaubt, die ganze Schönheit des Lebens zu erkennen und zu geniessen. Wir sind weit entfernt vom Slogan. der vor einigen Jahren in war: „Christus ja, Kirche nein!". Heute geht der Slogan eindeutig in die Richtung: „Religion ja, Gott nein!"

Ein Geschenk für das Volk Gottes

Und nochmals: Was wichtig ist, das ist vor allem die Entschlossenheit, mit der wir diesen Augenblick unserer Geschichte leben. Glauben wir weiterhin daran, dass das Ordensleben und deshalb auch unser Leben als Kapuziner ein Geschenk darstellt für das Volk Gottes, das auf dem Weg ist (Papst Franziskus). Wir müssen der Welt zuschreien, dass Gott uns liebt, dass das Leben schön ist und wert, dass wir es in Fülle leben, vom Anfang bis zum Ende. Sicher wird es nicht an Schwierigkeiten fehlen, aber die gehören zum Leben aller Menschen. Sie lassen uns immer wachsen, wenn wir sie als Chance sehen. Dann können wir auch nicht depressiv gestimmt sein, entmutigt, ohne Hoffnung. Wir leben von einer Gewissheit, die uns ein Versprechen zukommen lässt: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt." (Mt 28.20). Wir sind dazu berufen, die anderen Menschen mit unserer Freude anzustecken und Optimisten zu sein, denn wir verkünden das Leben, die Explosion des Lebens, die die des auferstandenen Christus ist: „Ihr werdet mir Zeugen sein angefangen von Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria und bis ans Ende der Welt" (Apg 1,8). Wir sind berufen, diesen Auftrag zu erfüllen, auch wenn wir an Zahl stark abnehmen und wenn wir nur wenige Berufungen haben. Einer, der die Natur aufmerksam beobachtet, weiss, dass die Farben der Dämmerung nicht weniger schön sind als die der Morgenröte. Denken wir mit Gelassenheit an ein mögliches Verschwinden von uns Kapuzinern in irgendeiner Region der Welt. Die Möglichkeit eines Verschwindens ist kein Fluch. Lieben wir unsere Provinz mit unserem Charisma und leben wir es so, dass die Menschen es erkennen und schätzen lernen. Die Idee, dass wir als Einzelne oder als Provinz sterben könnten, soll uns nicht lähmen. Uns muss es eher am Herzen liegen, aufrecht zu sterben und eine lichtvolle Spur zu hinterlassen.

Die Morgenröte vorwegnehmen

Da wir weltweit mehr als zehntausend Kapuziner zählen, verfügen wir mit Sicherheit über die Möglichkeit, neue Wege zu versuchen, die Präsenz unseres Charismas auch in diesen Ländern Europas, die vom Aussterben bedroht sind, zu garantieren. Roger Schütz, der Gründer der Gemeinschaft von Taizé, hat immer wieder gesagt, die Aufgabe des Ordenslebens sei die Vorwegnahme der Morgenröte. Wenn wir heute prophetisch sein wollen, dann bedeutet das, dass wir internationale und interkulturelle Fraternitäten gründen, die die Globalisierung mit der Präsenz von weissen, schwarzen und gelben Brüdern leben. Es wird nicht immer leicht sein, verschiedene Kulturen zu integrieren, aber das, was uns verbindet, der Glaube und das Charisma, ist stärker als das, was uns von einander unterscheidet.

Menschen von Gott berührt

Diese Gemeinschaften haben den Auftrag in Gesellschaften zu leben, die in wirklichem und eigentlichen Sinn Gott an den Rand verdrängt haben . Das Wort Gott kommt oft über unsere Lippen. angemessen oder auch weniger angemessen sprechen wir von ihm und wir werden nicht müde, uns bewusst zu machen, dass rings um uns sich ein Abgrund auftut. Es gibt heute viele, die nicht mehr in der Lage sind zu erfassen, was mit diesem Namen (Gott) gemeint ist; ein Wort, das für sie keinen Sinn mehr macht. Ich glaube, dass es der Mühe wert ist, ein Zitat von Papst Benedikt aufzugreifen. Er hat im Jahr 2005 gesagt: „Es gibt Männer und Frauen, die aus einem erleuchteten und gelebten Glauben heraus Gott in dieser Welt glaubwürdig machen. Es sind Frauen und Männer, die ihren Blick direkt auf Gott ausrichten und von ihm die wahre Menschlichkeit lernen. Allein durch solche von Gott angerührte Personen kann Gott bei den Menschen wieder heimisch werden" . Indirekt sagt Papst Ratzinger, dass Gott auf solche Männer und Frauen angewiesen ist, wenn er wieder zu den Menschen kommen will. Diese Überlegung lässt mich an jene feine und äusserst scharfsinnige Intuition von Etty Hillesum denken, der Gott versprochen hat, dass er für ihn in seinem Herzen immer ein kleines Plätzchen reserviert habe. Angesichts des Fortschritt des nazistischen Schreckens schrieb er 1942: „Gott, ich werde dir helfen, dass ich dich nie vergesse. Aber ich kann dir keine Garantien geben. Etwas allerdings wird mir immer klarer: Du kannst uns nicht helfen, aber wir müssen dir helfen, wenn etwas wirklich werden soll, und schliesslich sollen wir uns selber helfen. Das ist das Einzige, worauf wir in dieser Zeit bauen dürfen und es ist das Einzige, was wichtig ist: ein Stückchen von dir in uns, Gott" .

Du bist heilig, du, der wohnt in den Lobgesängen Israels

Die Herausforderung besteht heute darin, ob auch wir in der Art, wie wir sind, leben und beten, bereit sind, in erneuerter Weise diesen Platz für Gott zu bewahren. Kürzlich, während der Synode, hat mich der 4. Vers von Psalm 22 gepackt. In lateinischer Sprache: „Tu autem sanctus es, qui habitas in laudibus Israel". Ich glaube, dass die offizielle italienische Übersetzung anders ist als die wörtliche Übersetzung des hebräischen Textes. Es macht einen Unterschied zu sagen: „Du bist heilig, der du wohnst in den Lobgesängen Israels" oder „Du sitzest auf dem Thron unter den Lobgesängen Israels". „Du wohnst in den Lobgesängen Israels" öffnet für uns alle eine Perspektiv grosser Verantwortung und Schönheit. In einem gewissen Sinn - auch wenn das paradox klingen mag - heisst das, dass - wenn wir den Namen Gottes beim Lobgebet aussprechen - dies nicht nur Gott erreicht, sondern ihn leben, empfinden und erscheinen lässt. Es gibt nicht nur die Macht Gottes über uns, sondern auch wir verfügen ihm gegenüber über Macht. In einem wörtlichen Sinn heisst das, Gott ist abhängig von uns. Für Papst Benedikt hängt Gottes Rückkehr zu den Menschen von Männern und Frauen ab, die sich von ihm berühren lassen. Auf dieser Spur erhält die Einladung, die Franziskus an alle Hörer des Canticums richtet, neues Licht und neue Dringlichkeit: „Lobt und preist meinen Herrn und dankt ihm und dient ihm in grosser Demut." (FF 263). Mit diesem Satz beansprucht Franziskus einen völligen Vorrang für das Lob. Paul Beauchamp bezeichnet das Lob als die elementare Grammatik des Gebetes. Seine erste Regel besteht in Folgendem: „Das Lob ist der Anfang und das Ende eines jeden Gebetes. Ein Zweites ist es, dass das Lob und die Bitte zwei Elemente ausmachen, die allein genügen, das Ganze des Betens zu beschreiben."

Die Spannung auf Gott hin

Rino Cozza sagt in seinem Buch über „Neue Horizonte für das Ordensleben": „Die Schwierigkeit des Ordenslebens heute besteht vor allem darin, auf Gottes Anfrage zu antworten...Ausgangspunkt und Ort des Abkommens ist es, nicht wegen der Häufigkeit der Gebete, sondern wegen der Erfahrung des Betens anerkannt zu werden." Unsere Satzungen sagen bei Nr. 45,8: „Wir wollen ganz auf den Geist des Herrn und sein heiliges Wirken bedacht sein und immer mit reinem Herzen zu Gott beten. So geben wir den Menschen ein Zeugnis echten Betens; und jedermann sollte an unserem Gesicht und am Leben unserer Brüdergemeinschaft die Güte und Menschenfreundlichkeit des in der Welt gegenwärtigen Gottes sehen und spüren können." Diese mahnenden Worte
sind sehr schön, doch erlaube ich mir neben sie eine Äusserung von Cozza zu stellen. „Das Ordensleben hat seine Fähigkeit verloren, seinem Stehen in der Welt einen Sinn zu geben. Dieser Sinn bestände in erster Linie darin, glaubwürdig hinüber zu bringen, dass der Mensch Gott fassen kann". Wo die Spannung auf Gott hin fehlt, da wird alles flach! Da wir auch Kinder unserer Zeit sind, ist es mehr als wahrscheinlich, dass wir uns nicht zur Genüge vergewissern, dass heute grosse Übergänge sich durchsetzen. Ich denke im Besonderen an den Übergang von der Vorherrschaft des Christentums, bei dem Gott allgegenwärtig war und die Hinweise auf ihn häufig. Gerade deswegen riskieren wir heute, in einer Welt, die Gott nicht kennt, überflüssig zu werden. All das hat seine Konsequenzen und wir leben in einer Zeit, in der die Zahl der Menschen zunimmt, die keinen Bezug zu Gott haben und die ihn schlechthin nicht kennen. Es mag sein, dass uns all das unvorbereitet überrascht hat und wir uns zu wenig bewusst waren, dass unsere Zeitgenossen ganz anderes brauchen, nämlich Mitmenschen, die ihnen helfen, sich auf Gottes Gegenwart auszurichten, sich ihm zu nähern und von ihm sich nähern zu lassen. Ich glaube, dass in unserer Zeit die mehr gebraucht werden, die von ihm sprechen, ihn besingen, mit Leidenschaft auf ihn warten, als solche nötig sind, die ihn predigen.

Zeugen des Primates Gottes

Franziskus liess sich zuerst das Evangelium in der Tiefe seines Herzens sagen. Das führte ihn dazu, über ein geschärftes Bewusstsein der Grösse und Güte Gottes zu verfügen: „Du bist das Gute, alles Gute, das höchste Gut!" Seine Liebe zu den Geschöpfen wurzelt in der tiefen Überzeugung, das Alles, das Belebte und das Unbelebte, seinen Ursprung in Gott hat. Alles nehmen wir von ihm entgegen und bewahren es mit Sorgfalt und höchster Dankbarkeit. Was wir heute in Europa vor allem nötig haben, das sind Brüdergemeinschaften, die den Primat Gottes in ihrem Leben leben und bezeugen. Brüdergemeinschaften, die ihn in ihren Lobpreisungen wohnen lassen: „Dein sind die Lobpreisungen, der Ruhm, die Ehre und aller Segen!"

Unsere Art und Weise, das Evangelium zu verkünden

In diesem Sinn bin ich überzeugt, dass es darum geht, jede Absicht der Erneuerung einzubetten in den Prozess der Neuevangelisation und dass wir dabei der Ermunterung den Vorrang vor der Verurteilung geben . Wir müssen es miteinander tun. Es braucht Brüder, die nicht davor zurückschrecken Neues auszuprobieren, die die altgetretenen Pfade von früher verlassen und neue Wege eröffnen. Es ist nichts Schlechtes, wenn wir Pfarreien und pastorale Aktivitäten traditioneller Art unterhalten, aber was wir zur Zeit noch viel mehr brauchen, das ist etwas anderes: Brüdergemeinschaften, die in Einfachheit und Schönheit Zeugnis geben von Gott, dem sie dienen und den sie lobpreisen, und die keine Angst haben, zu den Armen und Ausgegrenzten unserer Wohlstandsgesellschaft zu gehen. Wenn wir uns aber auf die pastoralen Aktivitäten traditioneller Art beschränken, riskieren wir uns in ein Ghetto einzuschliessen und allein denen zu dienen, die geblieben sind. Im Gleichnis vom verlorenen Schaf lädt uns Jesus gerade nicht dazu ein, einfach zu warten, bis er zurückkehrt,
er lädt uns ein, dass wir uns auf die Suche machen und aktiv werden. So verhält es sich auch bei der Suche nach der verlorenen Münze: Die Frau zündet die Lampe an, reinigt das Haus und sucht, bis sie die Münze gefunden hat (Lk 15).

Die brüderliche Zusammenarbeit zwischen Ordensbezirken

Bevor wir uns die Zeugnisse der Franziskanischen Missionarinnen Mariens, der Franziskanischen Brüder von Palestrina und unserer Kapuzinerbrüder von Clermont Ferrand anhören - alles Zeugnisse der internationalen Zusammenarbeit - wollen wir nun konkreter auf unser Vorhaben eingehen und es präziser abgrenzen. Vor einigen Jahren haben wir einen Unternehmen gestartet, das wir eine gewisse Zeit mit „Personelle Solidarität" bezeichnet haben. Das Generalkapitel vor zwei Jahren hat dann die Bezeichnung geändert: „Brüderliche Zusammenarbeit zwischen den Ordensbezirken" . Verschiedene Ordensbezirke, vor allem in der CENOC, haben diesbezüglich unterschiedliche Versuche gestartet. Ich denke an Österreich, die Schweiz, Deutschland, Frankreich, Belgien und England. Auch in der CIMPCAP gibt es erste derartige Versuche der Zusammenarbeit. Wie sehen die Erfahrungen aus? Gut, aber es ist auch klar, dass es Schwierigkeiten in erster Linie wegen der Mentalität und wegen der pastoralen Praxis gibt. Man muss auch sagen, dass die Erwartungen derer, die nach Europa kommen, um sich hier in einer neuen Realität einzufinden, meist sehr anders sind als die Erwartungen der Brüder, die sie aufnehmen. Auch der Konflikt zwischen den Generationen darf nicht unterschätzt werden. Die, die aufnehmen, stehen meist in fortgeschrittenem Alter, während die, die von anderen Kontinenten kommen, viel jünger sind. Von den Brüdern, die von Aussen kommen, erwartet man, dass sie eine neue Sprache, und diese recht gut, erlernen, dass sie sich mit neuen Mentalitäten bekannt machen, auch mit einer neuen Form von Kapuzinersein und dass sie all das in der Pastoral umsetzen. Im Allgemeinen stellen wir viel höhere Anforderungen bezüglich Anpassung bei denen, die von Aussen kommen, als bei denen, die diese Brüder aufnehmen. Man hat es schon mehrmals gesagt, dass die Brüder, die im Rahmen der brüderlichen Zusammenarbeit nach Europa kommen, nicht als Lückenbüsser eingesetzt werden sollen. Das ist sicher wahr, aber es wird nicht immer korrekt verstanden. Hinter dieser Aussage verbirgt sich die Erwartung, dass diese Brüder in der Lage sein sollten, neue Projekte zu entwerfen und zu verwirklichen, Projekte, die nicht einmal wir im Stande sind, sie zu formulieren, geschweige denn sie zu verwirklichen. Es scheint mir selbstverständlich, dass in einer ersten Zeit die Brüder, nachdem sie eine genügende Sprachkenntnis erworben haben, in einen eher traditionellen Typ von pastoraler Arbeit hineinwachsen: Feier der Sakramente, Seelsorge an Kranken und anderen Gruppen. Es scheint mir auch wünschenswert, dass sie sich mit den Gläubigen beschäftigen, die aus ihren Herkunftsländern stammen und von den Ortskirchen zu wenig Aufmerksamkeit erfahren. Wie auch immer, die Brüder, die von Aussen kommen, werden sehr bald merken, dass die pastorale Praxis, wie sie in ihren Herkunftsländern üblich ist, im Umfeld, in dem sie jetzt arbeiten, nicht auf dasselbe Echo stösst. Es bleibt noch viel zu tun, bis wir das Ziel einer gegenseitigen Integration erreicht haben. Und doch bin ich überzeugt, dass die ersten Versuche bereits voller Hoffnung sind.

Das Ersuchen, Pfarreien zu übernehmen

Angesichts der Schwierigkeiten, die man bisher mit der Zusammenarbeit von Ordensbezirken gemacht hat, und angesichts der Absicht, neue Möglichkeiten für die finanzielle Unabhängigkeit der eigenen Provinzen zu erschliessen, kommt von verschiedenen Seiten, vor allem von Indien und Madagaskar, das nachhaltige Ersuchen, in eigener Verantwortung die Seelsorge für Pfarreien in Europa übernehmen zu können. Die Antwort von meiner Seite und vom Generalrat war bisher negativ. Aber wir sind uns voll bewusst, dass wir Lösungen finden müssen, die es unseren Brüdern in Indien und Madagaskar erlaubt, diese Erfahrung zu machen. Eine mögliche Lösung bedarf eines juristischen Rahmens, der von allen Beteiligten, vor allem auch von Seiten der Ordensbezirke, in deren Territorium die Brüder wirken wollen, mitgetragen wird. Konkret geht es darum, ob wir sie innerhalb der „Brüderlichen Zusammenarbeit zwischen den Ordensbezirken" aufnehmen oder ob wir ihre Niederlassungen als Häuser der Präsenz verstehen, die direkt vom Provinzialminister abhängen, der sie geschickt hat.

Ich möchte hier ein konkretes Faktum anfügen: Ein Bruder der Provinz Heiliger Josef in Indien hat den Verantwortlichen der Diözese Freiburg im Breisgau erklärt , seine Provinz sei bereit, Verantwortung für Pfarreien zu übernehmen. Da kam im Namen des Erzbischofs ein Schreiben an den Provinzialminister, worin zu lesen war, dass die Diözese in erster Linie daran interessiert sei, dass eine Gruppe von Brüdern jene Ort besetze, die die Kapuziner oder andere Ordensgemeinschaften aufgegeben hätten. So könne die Kontinuität der Ordenspräsenz garantiert werden und das sei für das Leben der Diözese von höchster Wichtigkeit. Es scheint mir interessant, wie in diesem Fall der Diözesanbischof einen Vorschlag macht, der darauf abzielt, die Präsenzen von Ordensgemeinschaften aufrecht zu erhalten und damit eine bestimmte Art von Präsenz zu sichern und erste Schritte auf eine Übernahme von ein oder mehreren Pfarreien zu machen.

Interkulturelle Gemeinschaften

Ich bin der Meinung, dass die brüderliche Zusammenarbeit zwischen den Ordensbezirken weitergehen und sich konsolidieren muss. Doch bin ich nicht weniger überzeugt, dass wir dazu berufen sind, auch andere, neue Wege zu versuchen. Es reicht nicht, wenn wir unsere indischen Brüder miteinbeziehen, um der Kapuzinerpräsenz in Europa neuen Elan und neue Hoffnung zu geben. Ich glaube, dass es in erster Linie an Europa liegt, sich auf den Weg zu machen. Es ist wahr, dass es auch unter uns, von Land zu Land, von Provinz zu Provinz, viele Unterschiede gibt. Aber ich glaube, dass jetzt der Augenblick gekommen ist, wo wir uns ganz entschieden auf ein Projekt der Evangelisation einigen müssen, an dem Brüder aller europäischen Ordensbezirke und auch Brüder, die aus Gebieten mit vielen Berufungen kommen, beteiligt sind. Es fällt heute leichter, einen jungen italienischen Bruder - ich hätte auch ein anderes Land nennen können - dazu zu motivieren, dass er sich in einem Projekt der Evangelisation einbringt als dass er bereit wäre, als Missionar nach China oder in ein afrikanisches Land zu gehen. Diese Verfügbarkeit sollten wir voll ernst nehmen und mit ihr in Europa etwas Neues zu unternehmen. Wir werden morgen hören, was in Clermont Ferrand geschieht und dass es möglich ist, in aller Schlichtheit miteinander zu leben: Französische Brüder verschiedensten Alters und Brüder, die aus Italien kommen. Diese Gemeinschaften müssen sich - wie ich oben schon sagte - darauf konzentrieren, ein einfaches Leben zu leben. Sie müssen sich auf das Wesentliche einlassen und darauf, Orte zu sein, wo man lebt und wo man schlicht und voll Freude Zeugnis gibt für die Ausrichtung auf Gott. Wir brauchen Fraternitäten, die ein Zeugnis dafür ablegen, dass es möglich ist zusammen zu leben, auch wenn man aus sehr verschiedenen kulturellen Kontexten herkommt. Ich glaube, dass es genau das ist, was unser Europa jetzt braucht. Ich sage das auch auf Grund des Wachstums fremdenfeindlicher Parteien, wie es sich in vielen unserer Länder zeigt. Heute sind wir im Stand, auf einem mikroskopisch kleinen Chip eine Unmenge von Informationen zu speichern. Aber wir sind nicht in der Lage, Friede und Gerechtigkeit für die ganze Welt zu garantieren. Das muss uns dazu bewegen, ein Zeugnis dafür abzulegen, dass dies im Namen Jesu Christi und des Heiligen Franz von Assisi möglich ist, zunächst unter uns und dann im Kontext, in dem wir leben.

Voraussetzungen

Wenn wir ein solches Projekt verwirklichen wollen, dann setzt das einige Grundbedingungen voraus:

1. Die erste Voraussetzung besteht für alle im Verständnis für die brüderliche Verantwortung gegenüber allen Brüdern Kapuzinern.

2. Ordensbezirke sind gefragt, die bereit sind, in ihrem Gebiet ein solches Projekt mit Überzeugung zu realisieren. Sie müssen uns Orte zeigen, wo diese Fraternität sich festmachen können, wenn möglich im Herzen der Städte.

3. Von allen ist eine Verfügbarkeit gefordert, die den Provinzialismus überwindet und sich eine umfassendere Sicht aneignet. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir alle dazu aufgerufen sind, als Kapuziner unseren Beitrag an die Realisierung dieses Projekts der Evangelisation zu leisten.

4. Darüber hinaus hängt dieses Projekt davon ab, dass alle bereit sind,
Verzichte zu leisten. Praktisch heisst das, dass wir in den verschiedenen Ordensbezirken den Prozess der Redimensionierung beschleunigen.

5. Von einem bestimmten Punkt an müssen wir bereit sein, als Provinz zu sterben, und zu akzeptieren, dass etwas Neues entsteht. Es geht dann nicht mehr darum, Institutionen zu retten. Es geht darum, von vorne zu beginnen, ohne dass wir damit in einen Streit mit dem, was schon war, hineingeraten.

6. Machen wir uns dazu bereit, die besten Brüder zur Verfügung zu stellen, Brüder, die fähig sind, reife Beziehungen zu leben und die sich nicht davor fürchten, sich auf ein herausforderungsreiches Projekt einzulassen.

7. Sorgen wir darüber hinaus - wenn es nötig ist - für ein besonderes Statut für diese Gemeinschaften. Sie sollen unmittelbar vom Generalminister und seinem Rat abhängig sein.

8. Schaffen wir eine Equipe, die diese Gemeinschaften bestätigt und sie miteinander verbindet.

9. Sorgen wir auch für neue Wege der Ausbildung für jene, die unser Leben annehmen wollen, wenn sie unseren Gemeinschaften begegnen.

Abschliessende Worte

Ich glaube, dass der Augenblick gekommen ist, wo wir wirklich etwas Neues wagen müssen und uns mit grossem Vertrauen auf den Weg machen sollten. Es freut mich, dass ich euch sagen kann, dass wir den morgigen Tag ganz den Projekten widmen können, die in diese Richtung gehen, und dass wir uns intensiver in die Thematik vertiefen können, wie die Säkularisation den europäischen Kontinent bestimmt. Es kann sein, dass wir uns wie die drei Hirtenkinder von Fatima fühlen, als ihnen die Madonna erschien und ihnen einen Auftrag anvertraute. Wer weiss, wie die Angst sie packte; und doch haben sie es geschafft und und dank ihres Mutes sind wir hier am richtigen Ort.

Die Ikone, die uns inspirieren soll, ist die junge Frau aus Nazareth. Sie hat vom Engel Gabriel erfahren, dass ihre Verwandte Elisabeth in ihrem hohen Alter einen Sohn empfangen hat. Da stand sie auf, ging eilends ins Bergland und in eine Stadt Judäas und blieb dort drei Monate lang. Für uns geht es darum, mit demselben Enthusiasmus aufzubrechen. Die Dauer wird sicher länger als drei Monate sein!

Fatima, 2. Dezember 2014

Br. Mauro Jöhri
Generalminister OFMCap


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Letzte Änderung am Donnerstag, 08 Januar 2015 09:21